Achtsames Essen – was bedeutet es überhaupt, achtsam zu essen? Wenn dich die Antwort auf diese Frage interessiert und du passende Tipps dazu haben möchtest, dann lies dir einfach unseren Beitrag durch.
Achtsames Essen
Achtsamkeit bedeutet, absichtsvoll aufmerksam zu sein, im gegenwärtigen Moment, ohne zu urteilen. Dies kann ganz praktisch bedeuten, kurz innezuhalten, vielleicht einmal tief durchzuatmen und nachzuspüren, wie es dir gerade geht, was deine Bedürfnisse sind. Oder etwas technischer ausgedrückt: eine Lücke zwischen Reiz und Reaktion zu nutzen, um erst dann eine bewusste Entscheidung zum Handeln zu treffen. Der Reiz, das kann hierbei beispielsweise ein sehr unbestimmter „Hunger“ sein, ein Reiz von innen. Ein anderer Hunger als das ganz natürliche Bedürfnis, unserem Körper neue Energie zuzuführen – wie wir es als Babys noch hatten.
Achtsames Essen – Sieben Hungerarten
Jan Chozen Bays, Ärztin und Zen-Lehrerin, unterscheidet sieben verschiedene Hungerarten, die ich hier stichwortartig beschreibe:
- Geisthunger: Beruht auf Gedanken, was ich wann essen sollte.
- Augenhunger: „Das Auge isst mit“, es ist das Bedürfnis nach Schönheit.
- Nasenhunger: Kann durch Gerüche und Aromen getriggert werden.
- Mundhunger: Das Verlangen nach angenehmen Empfindungen, Geschmäckern, Konsistenzen …
- Herzhunger: Wir haben emotionale Bedürfnisse und versuchen ein „Loch“ mit Essen zu füllen – aber auch ein Bedürfnis nach etwas, das wir vielleicht früher als Belohnung bekamen.
- Magenhunger: Äußert sich durch Leeregefühl im Bauch, oder Magenknurren.
- Zellhunger: Beruht auf tatsächlichem Energie- und Nährstoffbedarf, zu spüren an Energiemangel.
Hinzu kommt eigentlich noch der Durst. Der wird manchmal fehlinterpretiert.
Achtsames Essen – Unseren Hunger wirklich stillen
Um durch eine Mahlzeit wirklich genährt zu werden, können wir beim achtsamen Essen bewusst auf alle Hungerarten eingehen und sie stillen: Ein schön gedeckter Tisch für unseren Augenhunger, ein kleiner Text vor der Mahlzeit für unseren Geisthunger, ein Glas Wasser vorweg für unseren Magenhunger, Essen in Gemeinschaft für unseren Herzhunger … Die mitteleuropäische Kultur hält da viele Möglichkeiten bereit. Wir müssen nicht unbedingt auf fernöstliche Traditionen zurückgreifen – obwohl man dort vieles in Reinform beobachten kann.
Ein schönes Beispiel für den achtsamen Genuss ist auch das (maßvolle!) Trinken von Wein, wie es von Genießern praktiziert wird: Der Weinliebhaber kennt im Idealfall den Weinberg, auf dem die Trauben gewachsen sind. Er weiß, welche Wetterbedingungen in dem Jahr der Ernte herrschten, in welchem Boden die Reben ihre Wurzeln treiben. Er kennt den Winzer, seine Weinkeller und seine Herstellungsmethoden. Er hat den Wein vielleicht selbst fachgerecht gelagert, bringt ihn vor dem Genuss auf die richtige Temperatur, gießt ihn in ein schönes Glas, das die Aromen sammelt und zur Nase führt. Er hält das Glas im Licht vor ein weißes Blatt und schaut sich die Farbe an. Er schwenkt das Glas und sieht vielleicht, wie der Wein in Formen, die an Kirchenfenster erinnern, an der Glasinnenseite wieder hinunterläuft. Das Schmecken hat verschiedene Phasen bis hin zum sogenannten Abgang, der im Idealfall lang ist. Auch das Mundgefühl, die Konsistenz des Weins wird bewusst wahrgenommen. Dies erinnert fast an die „klassische“ Rosinenübung, die man in der Mindfulness Based Stress Reduction (MBSR) macht: Man nimmt eine einzelne Rosine mit allen Sinnen wahr, bevor man sie dann im allerletzten Schritt isst.
Wir lernen beim achtsamen Essen, aus dem Autopiloten herauszukommen, uns unserer wahren Bedürfnisse bewusst zu werden und bewusst zu handeln. Inzwischen gibt es viele wissenschaftliche Studien zum Mindful Eating, die die vielen positiven Effekte belegen, wie beispielsweise den Zugewinn an Lebensqualität durch mehr Genuss bei den Mahlzeiten.
Achtsames Essen – Meditationscharakter des mindful eating
Viele Elemente aus dem mindful eating (engl. für achtsames Essen) erinnern an die formale Sitz-Meditation: Wir können mit kleinen Rezitationen vor den Mahlzeiten, also dem Lesen oder Sprechen eines kurzen Textes, unseren geistigen Hunger stillen und auch eine Haltung von Dankbarkeit kultivieren. Wir können uns bewusst machen, was alles nötig war, damit diese Speisen jetzt auf unserem Tisch liegen: Sonne, Wasser, Erde, Pflanzen, menschliche Arbeit etc. Es kann ein Gefühl der tiefen Verbindung zum Ganzen entstehen, das mit ähnlichen Bewusstseinszuständen in der Meditation vergleichbar ist.
Zur Verdeutlichung mag hier ein Gedicht dienen:
Die Welt zu sehen im Korn aus Sand
Das Firmament im Blumenbunde
Unendlichkeit halt in der Hand
Und Ewigkeit in einer Stunde
– William Blake 1757–1827 –
Die Haltung der Achtsamkeit, der Präsenz, lässt uns die ganze Fülle des Lebens erleben, das Wunder, das in jedem Sandkorn, jeder Blüte und auch in unserer Nahrung steckt.
Wir können die Mahlzeit entschleunigen, für eine ruhige Atmosphäre sorgen, bewusst unsere Essenszeiten zusammen mit anderen Menschen planen.
In der Zen-Tradition gibt es sogar sehr schöne Rituale für achtsames Essen (oryoki = “gerade genug”) – und auch für das Trinken von Tee (cha-no-yu = „heißes Wasser für Tee“).
Kann man achtsames Essen lernen?
Ja! Es gibt inzwischen gute Methoden und Programme, diese Lebenshaltung zu kultivieren – auch bei Mindfulife (siehe unten). Übungen helfen, das Wesentliche zu verstehen. Regeln geben einen Rahmen: zum Essen hinsetzen, möglichst gemeinsam mit anderen essen, ohne Ablenkungen essen und so weiter. Und ganz allmählich geht uns das achtsame Essen in Fleisch und Blut über, wird selbstverständliche Praxis in unserem Alltag.
Es gibt sogar schon einen Fragebogen, der das „Verhalten achtsam Essen“ messen kann (Peitz et al., 2021).
Du verbesserst dein Körpergefühl, deine Achtsamkeit, mit dem Schwerpunkt auf Hunger, Verdauung, Stoffwechsel. Du reflektierst deine Prägungen in Bezug auf das Essen, aus der Erziehung, aus der Kultur und lernst, hilfreiche von problematischen Prägungen und Verhaltensweisen zu unterscheiden. Die sieben (oder auch acht) verschiedenen Hungerarten lernst du als Bedürfnisse zu unterscheiden und lernst, wie sich die Hungerarten bei dir individuell äußern. Du reflektierst, wie du bisher mit diesen Bedürfnissen umgegangen bist. Du kannst jetzt unterscheiden, was hilfreich und was problematisch ist und findest für dich heraus, wie du konstruktiv mit den Hungerarten umgehen kannst. Du machst die Erfahrung, dass du mit kleineren Portionen und weniger Mahlzeiten auskommst. Du lernst Dankbarkeit als bewusste, trainierbare Haltung vor einer Mahlzeit kennen. Auch ein Gefühl des Verbundenseins (Inter-Sein) kann sich herstellen.
Du gehst in Bezug auf dein Essverhalten aus dem Autopiloten heraus und nutzt die Lücke zwischen Reiz und Reaktion, um eine bewusste und freie Entscheidung treffen zu können, wie du in Bezug auf das Essen und Trinken wirklich handeln möchtest.
Mein Kurs zum achtsamen Essen bei mindfulife.de ist grundsätzlich für psychisch gesunde Menschen konzipiert. Er ersetzt keine Therapie und ist in dieser Form nicht für Personen mit Essstörungen geeignet.
Die Kursinhalte speisen sich aus fünf Quellen:
- aktuelle Forschung zum mindful eating (siehe Literaturliste), besonders das Verständnis von mindful eating von Peitz & Warschburger (2022), das dem Fragebogen zum achtsamen Essen zugrunde liegt
- das Mindful eating-Programm von Jan Chozen Bays, Zen-Lehrerin und Kinderärztin
- Elemente aus der Achtsamkeitsbasierten Stressreduktion (Mindfulness-based stress reduction, MBSR)
- meine 30 Jahre Berufserfahrung als Physiotherapeut (B.A) und Physiotherapiedozent sowie die Erfahrungen aus über 30 Jahren eigener Meditation und Achtsamkeit
- meine Ausbildung zum Meditationslehrer bei Mindfulife von 2021
Achtsam Essen
Du hast nun verstanden, was achtsames Essen bedeutet und wie du es erlernen kannst. Wenn du immer noch Interesse an dem Thema hast, dann haben wir hier einen weiteren Artikel für dich! Viel Spaß beim Lesen.
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