Du fühlst Dich gestresst, leidest unter Depressionen, Angststörungen oder bist Substanzabhängig? In diesem Artikel stellen wir Dir achtsamkeitsbasierte Verfahren vor, die Dir helfen können, durch Achtsamkeitsübungen Deine subjektiven Wahrnehmungen zu kontrollieren und zu lenken.
Achtsamkeitsbasierte Verfahren – Warum Achtsamkeit?
Achtsamkeit (engl. mindfulness) beschreibt einen selbst regulatorischen Prozess, bei dem der Fokus auf das bewusste Erleben der aktuellen subjektiven Wahrnehmungen liegt, ohne diese zu bewerten. Zu diesen Wahrnehmungen können Gedanken, Emotionen, Körperempfindungen, Gefühle, Erinnerungen und vieles mehr zählen.
„Achtsamkeit ist ein multidimensionales Konstrukt, das u. a. die Dimensionen Fokussierung auf die
Berking, M., & Rief, W. (2012) p. 117.
Wahrnehmung, Akzeptanz und Selbstunterstützung umfasst.”
Achtsamkeitsbasierte Verfahren – klinische Verwendung
Achtsamkeit kann für psychotherapeutische Behandlungen vielfältig genutzt werden. Dabei reicht der Einsatz von mehrwöchigen „Retreats” über Atem-, Sitz-, Steh-, Geh- und Liegemeditationen bis hin zur bewussten Wahrnehmung der Muskeln bei der progressiven Muskelrelaxation (PMR). Der Schwerpunkt wird auf die Ausrichtung der Aufmerksamkeit auf den jeweiligen Meditationsfokus (z.B. Atem, Körperempfindungen etc.) gelegt, ohne diese Wahrnehmungen zu bewerten. Je nach Fokus und Verfahren wird zwischen achtsamkeitsbasierten (Achtsamkeit als grundlegendes Therapieprinzip) und achtsamkeitsassoziierten (Achtsamkeit ist eines von mehreren eingesetzten Vorgehensweisen) Therapien unterschieden.
Dieser Blogbeitrag informiert Dich über die sog. achtsamkeitsbasierten Verfahren.
Beispiele hierfür sind:
- Mindfulness-Based Stress Reduction (MBSR)
- Mindfulness-Based Cognitive Therapy (MBCT)
- Mindfulness-Based Relapse Prevention (MBRP)
Was sind formale und informelle Übungen?
Formale Übungen
- Body-Scan (zuerst liegt der Fokus auf dem Atem, danach auf der bewussten und achtsamen Wahrnehmung einzelner Körperteile bis hin zur Wahrnehmung des Gesamtkörpergefühls)
- Sitz- oder Gehmeditation
- Achtsame Körperarbeit (Hatha-Yoga), (schau Dir unseren Artikel „Was bringt Yoga” an)
Informelle Übungen
- Integration von Achtsamkeit in den Alltag
- Aufmerksamkeit auf einzelne Routinetätigkeiten legen z.B. „achtsames Zähneputzen”
- Nach gewisser Zeit: jeder Alltagstätigkeit mit dieser achtsamen Haltung begegnen
- Ziel: Bewusstsein immer in den gegenwärtigen Moment zu holen
Mindfulness-Based Stress Reduction (MBSR)
Jon Kabat-Zinn, ein ehemaliger Molekularbiologe, entwickelte Ende der 1970er Jahre in einer verhaltensmedizinischen Studie das „Mindfulness-Based Stress Reduction“-Programm (deutsch: achtsamkeitsbasierte Stressreduktion). Er selbst hatte langjährige Meditationserfahrung und war einer der Ersten, der das buddhistische Achtsamkeitsprinzip in den klinischen Kontext integrierte. Dieses hochstrukturierte Programm zählt inzwischen zu den etabliertesten achtsamkeitsbasierten Ansätzen. Gedacht war das MBSR-Programm ursprünglich für Patient:innen mit chronischen und stressbedingten Erkrankungen und wurde zur Behandlung von Schmerzpatient:innen verwendet, die „austherapiert” waren. Mittlerweile liegen Hinweise auf die positive Wirksamkeit des Verfahrens bei körperlichen und psychischen Störungen vor.
Das Training wird in Gruppen durchgeführt und umfasst einen acht- bis zehnwöchigen Kurs, bei dem sich die Teilnehmenden einmal pro Woche für ca. zweieinhalb Stunden treffen, um Achtsamkeitsfertigkeiten zu trainieren und Stress- und Copingstrategien zu diskutieren. In der sechsten Woche findet zudem ein ganztägiges Intensivtraining von etwa acht Stunden statt.
„MSBR besteht aus formaler Atem-Meditation und Yoga-Übungen sowie informellen Achtsamkeitsübungen im Alltag.”
Berking, M., & Rief, W. (2012) p. 120.
Die Effektivität von MBSR wurde bei einer Vielzahl von Störungen, wie z. B. Depressionen, Essstörungen, Generalisierter Angststörung, Krebs oder Hautkrankheiten untersucht.
Mindfulness-Based Cognitive Therapy (MBCT)
Segal, Williams und Teasdale (2002) entwickelten die „Mindfulness-Based Cognitive Therapy“ (deutsch: achtsamkeitsbasierte kognitive Therapie) als Rückfallprophylaxe für ehemals depressive Patient:innen. Es wird angenommen, dass bei Personen, die bereits Formen depressiver Episoden erlebt haben, schon leicht dysphorische Stimmungen (schlechte Laune, Unzufriedenheit, Missmut) ausreichen, um depressogene Denkmuster (dysfunktionale Überzeugungen) hervorzurufen, welche dann zum Rückfall führen können.
Segal et al. postulieren, dass Achtsamkeit dabei helfen soll, dieses grüblerische Reaktionsmuster und die damit verbundenen negativen Gedanken und Gefühle möglichst frühzeitig zu erkennen, aus diesen auszusteigen und antidepressives Coping einzusetzen. Die Patient:innen sollen lernen, dass diese Gedanken und Gefühle nicht die Realität sind, sondern kommen und gehen und unbewertet bleiben sollen. MBCT bietet eine Kombination aus achtsamkeitsbasierten Interventionen (wie bei MBSR) und Teilen kognitiv-verhaltenstherapeutischer Depressionsbehandlung.
Im Gegensatz zur klassischen kognitiven Therapie liegt der Fokus nicht auf der Modifikation der kognitiven Inhalte, sondern auf einer Veränderung der Haltung gegenüber diesen Gedanken und Empfindungen. Entscheidend ist dabei die Entwicklung von Akzeptanz und Offenheit (Michalak et. al, 2012).
„Ziel der MBCT ist nicht die Veränderung kognitiver Inhalte; es geht vielmehr um die Modifizierung der Haltung diesen dysfunktionalen Kognitionen gegenüber. Kernelement ist die Kultivierung von Akzeptanz und Offenheit.”
Michalak et. al, (2012), p. 250.
Die Therapie wird in Gruppen mit max. zwölf Patient:innen angeboten und umfasst ebenfalls acht wöchentliche Sitzungen von jeweils ca. zwei Stunden sowie einen gemeinsamen „Tag der Achtsamkeit“.
Die ersten vier Sitzungen thematisieren das Erlernen und Einüben von Achtsamkeit. In den weiteren vier Sitzungen wird das Erlernte durch klassische kognitive Interventionen ergänzt, wie z. B.:
– Psychoedukation zum Thema Depression
– Bedeutung von und Umgang mit automatischen Gedanken
– Aufbau angenehmer Aktivitäten etc.
Ähnlich wie im MBSR-Programm werden die Patient:innen dazu animiert, an sechs Tagen pro Woche jeweils mindestens 45 Minuten formale Achtsamkeitsübungen zu praktizieren und Achtsamkeit durch informelle Übungen in ihren Alltag zu integrieren.
Eine Reihe von hochwertigen Studien bestätigt mittlerweile die Effektivität von MBCT bei rezidivierenden unipolaren Depressionen (z. B. Segal et al., 2010).
Mindfulness-Based Relapse Prevention (MBRP)
Bowen et. al (2010) entwickelten eine Integration von Achtsamkeitspraxis in klassische Rückfallpräventionsprogramme für Suchterkrankte: die „Mindfulness-Based Relapse Prevention” (deutsch: achtsamkeitsbasierte Rückfallprävention). MBRP enthält achtsamkeitsbasierte Techniken aus MBSR und MBCT sowie kognitiv-behaviorale Strategien der klassischen Rückfallprävention. Durch die achtsamkeitsbasierten Techniken sollen Patient:innen lernen, Impulse, die zum Substanzkonsum drängen (verbunden mit Körperempfindungen, Gedanken etc.) achtsam wahrzunehmen, ohne auf sie zu reagieren. Um diese Kompetenz zu üben und die Impulse zu kontrollieren, werden formale und informelle Achtsamkeitsübungen eingesetzt. Was das ist, kannst Du Dir gerne oben nochmal durchlesen.
Die Durchführung des Programmes ähnelt den beiden letztgenannten Verfahren: Es finden acht wöchentliche Gruppensitzungen von jeweils etwa zwei Stunden statt. Auch hier werden das achtsame Wahrnehmen sowie die Integration von Achtsamkeit in den Alltag erlernt. Anders als bei den beiden vorher genannten Verfahren geht es bei MBRP in den beiden letzten Sitzungen um Selbstfürsorge, die Unterstützung durch Netzwerke und um einen ausgewogenen Lebensstil.
Zum Einsatz von Achtsamkeitsfertigkeiten in Risikosituationen wird das konkrete Vorgehen
durch das Wort SOBER beigebracht: Stop – Observe – Breath – Expend (your awareness beyond the breath to other sensations/perceptions) – React wisely (deutsch: Stoppen – Beobachten – Atmen – Dein Bewusstsein über den Atem hinaus auf andere Empfindungen/Wahrnehmungen erweitern – Weise reagieren).
Obwohl der Einsatz von Achtsamkeitsverfahren in der Behandlung von Alkoholismus eine lange Tradition hat, sind wissenschaftlich hochwertige Studien in diesem Bereich selten. Im Bereich von MBRP belegen erste Pilotstudien die Wirksamkeit des Verfahrens. Diese Studien deuten darauf hin, dass die Patient:innen die Achtsamkeits-Skills auch nach Ende der Behandlung selbstständig weiter üben müssen, damit der Effekt erhalten bleibt. Inwieweit bzw. bei welchen Patient:innen MBRP effektiver ist als klassische KVT (kognitive Verhaltenstherapie)-orientierte Vorgehensweisen, bleibt abzuwarten.
Achtsamkeitsbasierte Verfahren – Fazit
In diesem Artikel hast Du gelernt, wie Achtsamkeitsübungen im Alltag helfen können, um Stress zu reduzieren, mit depressiven Episoden umzugehen oder den Impuls, nach einer Substanz zu greifen, zu kontrollieren. Du kennst den Unterschied zwischen achtsamkeitsbasierten und achtsamkeitsassoziierten Verfahren sowie zwischen formalen und informellen Übungen. Mit Deinem aktuellen Wissen über die drei genannten achtsamkeitsbasierten Verfahren (MBSR, MBCT, MBRP) kannst Du ggf. Dich oder andere motivieren, sich weiter mit der Thematik zu befassen, um zu Lernen, durch Achtsamkeitsübungen Veränderungen hervorzurufen.
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