Veränderung, ein Leben lang
Lange Zeit ging man davon aus, dass sich menschliche Gehirne im Erwachsenenalter nicht mehr verändern können, heute weiss man; auch ältere Gehirne sind neuroplastisch – also veränderbar – und das ein Leben lang. Das Gehirn gehört zusammen mit unserem Rückenmark zum zentralen Nervensystem unseres Körpers.
Betrachtet man nun das menschliche Nervensystem findet man ein komplexes Konstrukt aus Gewebe, Organen und Nervenzellen. Die sogenannten Neuronen (Nervenzellen) durchziehen unseren gesamten Körper und bestehen aus spezialisierten Zellen, die für die Reizaufnahme, Weitergabe und Verarbeitung von Nervenimpulsen verantwortlich sind. Man kann sich die Neuronen wie Telefonleitungen vorstellen, die Informationen an nachfolgende Nervenzellen weitergeben. Die neuronalen Verbindungen und damit auch die Neuronen an sich sind jedoch keineswegs ein starres, invariables Konstrukt aus Verbindungen, viel mehr sind diese anpassungs- und veränderungsfähig und können auf Umwelteinflüsse reagieren. Diese Veränderbarkeit nennt man auch Neuroplastizität.
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Das Phänomen der Neuroplastizität spielt nicht nur eine Rolle bei der Neu-oder Umorganisation neuronaler Verbindungen nach Schlaganfällen oder Läsionen, sondern auch bei diversen Lernprozessen.
Aber was ist Neuroplastizität eigentlich genau?
Unter dem Begriff «Neuroplastizität» versteht man die die Fähigkeit des Nervensystems seine Organisation durch innere oder äussere Reize zu verändern. Dies ist ein komplexer und mehrstufiger Prozess, der zahlreiche zeitabhängige Vorgänge auf molekularer, synaptischer und struktureller Ebene umfasst. So können z.B. bestehende Synapsen (eine Teilstruktur des Neurons, welches elektrische oder chemische Signale an ein anderes Neuron oder Zelle weitergeben kann) kurzfristig abgeschwächt oder verstärkt werden. Ausserdem können auch neue neuronale Verbindungen gebildet werden. Es gibt verschieden Formen der Plastizität, eine davon ist die sogenannte synaptische Plastizität; sie kann in zwei Untergruppen unterteilt werden:
- Funktionelle Plastizität
- Strukturelle Plastizität
Unklar ist momentan noch, ob diese beiden nicht ein Kontinuum darstellen; also eine Abfolge, bei der die strukturelle Plastizität auf die funktionelle Plastizität folgt.
Funktionelle Plastizität
Wie der Name es schon andeutet, findet bei der funktionellen Plastizität keine Veränderung auf anatomischer Ebene statt, sondern vielmehr auf funktionaler Ebene. So verändert sich besonders die Effizienz der synaptischen Übertragung; Signale können also effizienter von einer Nervenzelle zur nächsten übertragen werden.
Besonders bei Lernvorgängen ist die funktionelle Plastizität von grosser Bedeutung, dabei wird die synaptische Übertragung in mehreren, gleichzeitig aktiven Synapsen verstärkt.
Strukturelle Plastizität
Die strukturelle oder auch anatomische Plastizität unterscheidet sich nicht grundsätzlich von der funktionellen Plastizität. Vielmehr liegt der Fokus hier mehr auf strukturellen Veränderungen, also auf Veränderungen, die im neuronalen Netzwerk fassbar sind. Hierbei muss jedoch angemerkt werden, dass die neuroanatomischen Methoden zur Erfassung solch struktureller Veränderung zurzeit begrenzt sind. Des Weiteren ist es denkbar, dass die strukturelle Plastizität eine Folge der funktionellen Plastizität darstellt. Die strukturellen Veränderungen können u.a. folgende Bereiche des neuronalen Netzwerks betreffen:
- Veränderung an den dendritischen Dornen
- Bildung neuer Synapsen
- Bildung neuer Axone
- denervierte Neurone können reinnerviert werden
Der Weg zu neuroplatischen Veränderungen
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Aber wie gelingt es uns auf solche neuroplastischen Veränderungen Einfluss zu nehmen? Können wir das überhaupt? Nach heutigem Forschungs- Und Wissensstand kann davon ausgegangen werden, dass wir nicht nur negativ, sondern vielmehr auch positiven Einfluss auf die (Re)organisation unseres Nervensystems haben können. Zahlreiche Studien konnten belegen, dass neuroplastische Veränderungen durch sogenannte externe oder interne Stimuli hervorgerufen werden können. Anbei haben wir euch die wichtigsten Einflussfaktoren aufgelistet:
- Regelmässige physische Aktivität, wie z.B. Laufen oder Schwimmen
- Soziale Verbindungen, z.B. Gruppenaktivitäten, Kommunikation und gesunde Beziehungen
- Lernen, z.B. Erlernen einer neuen Sprache oder eines Instruments
- Positive Gedanken
- Meditation und Achtsamkeit
Der Einfluss von Meditation und Achtsamkeit auf die mentale und körperliche Gesundheit konnte in vielen Studien belegt werden. Unterdessen gibt es auch zahlreiche Studien, die sich mit den Effekten von Meditation auf die funktionelle und strukturelle Organisation des menschlichen Gehirns auseinandersetzen. Häufig verwenden diese zur Messung dieser Gehirnveränderungen bildgebende Verfahren (z.B. fMRI).
Wie verändert Meditation unser Gehirn?
Meditation und Achtsamkeit haben ihre Wurzeln in alten buddhistischen Traditionen, sie können das mentale Wohlbefinden erhöhen, indem sie Aufmerksamkeit und emotionale Regulierung fördern. Dies konnte in zahlreichen Studien nachgewiesen werden. Wir stellen euch hier eine eindrucksvolle Studie vor, die die Auswirkungen der Meditationspraxis auf die Neuroplastizität untersucht hat.
Buddhas Brain
Die Studie von Davidson & Lutz (2008) untersucht die Auswirkungen von Meditation auf die Gehirnstruktur und -funktion. Dafür vergleichen sie erfahrene buddhistische Mönche mit Meditationsanfängern, wobei die Mönche im Schnitt insgesamt 19’000-44’000 Stunden Meditationspraxis hatten und die Meditationsanfänger deutlich weniger.
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Messmethoden der Studie Davidson & Lutz (2008)
Um den Einfluss der Meditationspraxis auf die Gehirnstruktur und -funktion zu erfassen wurden die beiden Gruppen drei verschiedenen Bedingungen ausgesetzt:
- FA – Meditation im MRT-Scanner: Bei der sogenannten fokussierten Aufmerksamkeitsmeditation wird die Aufmerksamkeit auf einen bestimmten Punkt gerichtet, dies geschah im MRT-Scanner mit dem die Hirnaktivität gemessen werden kann.
- OM – Meditation während einem EEG: Bei der OM-Meditation werden innere Vorgänge wie Gedanken oder Emotionen wohlwollend beobachtet und losgelassen, dabei wurde die Hirnaktivität der Teilnehmer anhand eines EEG’s gemessen.
- Attentional Blink Test: Beim Attentional Blink Test werden z.B. Buchstaben in schneller Abfolge dargeboten, die Aufgabe besteht hierbei darin, den Buchstaben nach (T2) einem Zielbuchstaben (T1) zu identifizieren. So könnten z.B. die Buchstaben T,O,W,X,E,M,U,C,P nacheinander ablaufen und der Zielbuchstabe (T1) wäre z.B. “X”, dann wäre T2 in unserem Beispiel das “E”.
Ergebnisse
Die Ergebnisse der Studie von Davidson & Lutz (2008) waren erstaunlich:
- Ergebnisse FA-Meditation & MRT: Bei dieser Bedingung konnte eine Aktivierung in Hirnregionen, die mit Aufmerksamkeit und Emotionsregulation verbunden sind (präfrontaler Kortex, visueller Kortex, superiorer frontaler Sulcus, etc.) beobachtet werden. Darüber hinaus konnte man feststellen, dass die Aktivierung einer umgekehrten U-Kurve folgte. Dies bedeutet, dass sie bei mittelmässig erfahrenen Praktizierenden am stärksten war und bei den erfahrenen Mönchen wieder abnahm. Dies deutet darauf hin, dass Meditation mit zunehmender Praxis weniger kognitive Anstrengung erfordert.
- Ergebnisse OM – Meditation & EEG: Langzeitmeditierende zeigten bei dieser Bedingung eine verstärkte Gamma-Wellen-Aktivität (25–42 Hz), diese ist mit verbesserter kognitiver Integration und gesteigerter Aufmerksamkeit verbunden. Ausserdem konnte eine signifikant erhöhte Synchronisation zwischen verschiedenen Gehirnregionen bei erfahrenen Praktizierenden, auch im Ruhezustand festgestellt werden.
- Ergebnisse Attentional Blink Test: Nach drei Monaten intensiver Meditationspraxis reduzierte sich der Attentional Blink bei den Meditierenden signifikant. Heisst also sie konnten den gesuchten Buchstaben nach dem Zielbuchstaben eher wahrnehmen. Dies zeigt eine verbesserte Aufmerksamkeitssteuerung durch Meditation.
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Fazit
Die Forschung der letzten Jahrzehnte hat gezeigt, dass sich unser Gehirn ein Leben lang verändern kann – ein Phänomen, das als Neuroplastizität bekannt ist. Immer mehr Studien konnten zeigen, dass Meditation und Achtsamkeit tiefgreifende neuroplastische Veränderungen bewirken können.
Die Studie von Davidson & Lutz (2008) liefert überzeugende Belege dafür, dass Meditation sowohl funktionelle als auch strukturelle Veränderungen im Gehirn hervorruft. Die Praxis der fokussierten Aufmerksamkeit (FA) stärkt gezielt Regionen, die für Konzentration und Emotionsregulation zuständig sind, während die offene Überwachung (OM) zu einer verbesserten kognitiven Integration und einer verstärkten Synchronisation von Hirnarealen führt. Diese Effekte sind insbesondere bei Langzeitmeditierenden zu beobachten, zeigen sich jedoch bereits nach wenigen Wochen intensiver Praxis.
Insgesamt verdeutlichen diese Erkenntnisse, dass Meditation weit mehr ist als eine Technik zur mentalen Entspannung – sie ist ein mächtiges Werkzeug zur bewussten Beeinflussung unserer Gehirnstruktur und -funktion. Mit den richtigen Methoden und regelmäßiger Praxis kann das neuronale Netzwerk geformt werden und so langfristig zu mehr geistiger Klarheit, emotionalem Gleichgewicht und Wohlbefinden führen.
Quellen
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