In unserer heutigen Welt scheint es, als sei Positivität die Antwort auf all unsere Probleme und dauerhafter Optimismus der Schlüssel zum Erfolg. Wir leben in einer Leistungsgesellschaft und in einer Ära, in der Social Media und Selbstoptimierungstrends uns ständig das Bild eines perfekten Lebens vor Augen führen: Instagram-Feeds voller lächelnder Gesichter, Erfolgsgeschichten und motivierenden Sprüchen wie „Good Vibes Only“, „Alles geschieht aus einem Grund“ oder „Wenn dir das Leben eine Zitrone gibt, mach Limonade draus“. Diese Sprüche schaffen eine idealisierte Vorstellung davon, wie wir denken und fühlen sollten. Doch hinter dem Vorhang dieses unaufhörlichen Optimismus verbirgt sich ein psychologisches Phänomen, das mehr Schaden anrichten kann, als man denkt: “Toxische Positivität”.
Dieser Artikel erläutert das Phänomen der toxischen Positivität, die Psychologie dahinter und verschafft dir einen Einblick in dessen schädlichen Folgen für uns selbst als auch für die Beziehung zu unseren Mitmenschen. Erkennst du dich selbst oder Bekannte darin wieder? Wie kann eine gesunde Balance zwischen Optimismus und authentischem Fühlen erreicht werden? Wir geben dir Impulse und nützliche Tipps.
Was ist toxische Positivität?
Um das Phänomen zu verstehen, muss zunächst der Unterschied zwischen toxischer Positivität und gesundem Optimismus verdeutlicht werden.
Positivität ist grundsätzlich eine erstrebenswerte Lebenshaltung. Zahlreiche wissenschaftliche Studien kommen zu der Erkenntnis, dass eine optimistische Grundhaltung unter anderem das allgemeine Stresslevel und das Risiko für zahlreiche Erkrankungen wie Infektionen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Atemwegserkrankungen und Krebserkrankungen reduziert (John Hopkins Medicine, 2020; Mayo Clinic, 2022). Dabei wird trotz Herausforderungen und Rückschlägen die Hoffnung auf eine positive Zukunft bewahrt, während man gleichzeitig die Realität und die Schwierigkeiten anerkennt.
Toxische Positivität hingegen ist eine starre Vorstellung, dass man immer eine positive Einstellung bewahren sollte, egal wie schwierig oder schmerzhaft Umstände auch sein mögen. Der Glaube kann sich in wohlmeinenden, aber letztlich schädlichen Sprüchen äußern wie:
- „Bleib positiv!“
- „Es könnte schlimmer sein.“
- „Schau auf das, was du hast und sei dankbar.“
Folglich entsteht Druck und „negative” Emotionen können voreilig (unbewusst) verdrängt und ignoriert werden.
„Negative“ Emotionen gibt es in diesem Sinne jedoch gar nicht. Alle Gefühle haben eine wichtige Funktion. Traurigkeit, Wut, Angst und Frustration sind genauso wichtig wie Freude, Liebe und Hoffnung. Emotionen wie Traurigkeit oder Angst sind Warnsignale, die uns helfen, Gefahren zu erkennen, Verluste zu verarbeiten oder uns auf schwierige Situationen vorzubereiten. Wut und Frustration ermöglichen es uns beispielsweise in Kontakt mit den eigenen Bedürfnissen zu treten und innere Konflikte aufzudecken. Wenn wir Positivität auf Kosten der Anerkennung negativer Emotionen verfolgen, schaffen wir ein emotionales Ungleichgewicht, welches sich langfristig schädlich auf unsere mentale Gesundheit und die Qualität unserer Beziehung zu anderen auswirkt.
5 negative Folgen toxischer Positivität
Wenn wir toxische Positivität in unser Leben integrieren, kann dies erhebliche Folgen für unsere psychische Gesundheit haben und uns von echter Verbindung zu unseren Liebsten distanzieren.
- Emotionale Unterdrückung:
Wenn wir das Gefühl haben, positiv sein zu müssen, unterdrücken wir möglicherweise unsere echten Emotionen, sei es Trauer, Angst oder Frustration. Jedoch verschwinden unterdrückte Emotionen meist nicht einfach so und es kommt zu inneren Konflikten, Stress und emotionaler Erschöpfung. Auf lange Sicht kann dieser Zustand psychische Erkrankungen wie Depressionen und Angststörungen begünstigen. - Invalidierung von Erfahrungen:
Toxische Positivität minimiert oder invalidiert oft die Erfahrungen anderer. Wenn jemand seine Probleme teilt und mit Aussagen wie „Bleib einfach positiv“ konfrontiert wird, kann dies abweisend wirken, wodurch sich die Person unsichtbar oder nicht gehört fühlt. Diese Invalidierung kann das Gefühl von Einsamkeit und Isolation hervorrufen. - Scham und Schuldgefühle:
Wenn wir die Botschaft verinnerlichen, dass wir immer glücklich oder positiv sein sollten, könnten wir anfangen, uns für unsere negativen Emotionen zu schämen. Wir fragen uns vielleicht, warum wir nicht einfach „darüber hinwegkommen“ können, was zu Schuldgefühlen und weiterem emotionalen Stress führt. - Gehemmte emotionale Entwicklung:
Schwierige Emotionen zu erleben und zu bewältigen, ist ein grundlegender Aspekt des persönlichen Wachstums. Indem wir diese Emotionen zugunsten erzwungener Positivität vermeiden oder unterdrücken, verpassen wir Gelegenheiten, um Resilienz, Empathie und emotionale Regulation zu lernen. - Belastete Beziehungen:
Toxische Positivität kann Beziehungen schädigen, indem sie eine oberflächliche Umgebung schafft, in der ein ehrlicher emotionaler Austausch gehemmt ist. Freunde, Familienmitglieder und Arbeitskolleg*innen könnten sich unwohl fühlen, ihre Kämpfe zu teilen, wenn sie befürchten, dass ihre Gefühle abgewertet oder herabgespielt werden könnten.
Anzeichen an denen du erkennst, ob du zu toxischer Positivität tendierst
Die Erkennung von toxischer Positivität ist der erste Schritt, um gesündere emotionale Praktiken zu fördern. Hier sind einige Anzeichen, die dir signalisieren können, dass du selbst eine Tendenz zu toxischer Positivität vorweist:
- Du vermeidest es, negativen Emotionen Raum und Ausdruck zu verleihen und spielst Schwierigkeiten herunter.
- Du empfindest Schuld- oder Schamgefühle, wenn du dich schlecht fühlst.
- Du verwendest häufig Floskeln, um andere zu trösten: Wenn deine Standardreaktion auf die Probleme anderer darin besteht, Sätze wie „Es wird schon besser“ oder „Bleib einfach positiv“ zu äußern, lohnt es sich genauer nachzuschauen, ob du echte Empathie zeigst oder unabsichtlich ihre Gefühle abwertest.
Empfehlungen zur Überwindung toxischer Positivität
Es ist zwar verständlich, in schwierigen Zeiten positiv bleiben zu wollen, aber es ist wichtig, dies auf eine Weise zu tun, die sowohl positive als auch negative Emotionen respektiert. Folgende Strategien können dir helfen, ein emotionales Gleichgewicht zu erreichen:
- Übe emotionale Validierung:
Anstatt schwierige Emotionen wegzuschieben, erlaube dir, sie vollständig zu spüren. Bestätige deine eigenen Erfahrungen und die Erfahrungen anderer, indem du anerkennst, dass es in Ordnung ist, sich manchmal schlecht zu fühlen. Meditation ist ein Werkzeug, das dir im Alltag dabei helfen kann, Gedanken und Emotionen jeglicher Art wertfrei zu beobachten und zu akzeptieren. In Gesprächen mit anderen wiederum könntest du beispielsweise anstelle von „Bleib positiv“ sagen: „Ich kann verstehen, warum du dich schlecht fühlst. Ich bin für dich da.“ - Ermutige zur Verletzlichkeit:
Verletzlichkeit ist der Schlüssel zum emotionalen Wohlbefinden. Fördere Beziehungen, in denen sowohl positive als auch negative Emotionen frei ausgedrückt werden können. Aktives Zuhören ist eine nützliche Methode, um eine positive Umgebung zu schaffen, die diese Selbstoffenbarung fördert. - Fokussiere dich auf Empathie, nicht auf Lösungen:
Wenn jemand seine Probleme mit dir teilt, widerstehe dem Drang, sofort Lösungen oder positive Lektionen daraus zu ziehen. Konzentriere dich stattdessen darauf, zuzuhören und Empathie für seine Gefühle zu zeigen. Oft genügt es, sie wissen zu lassen, dass du da bist, um sie zu unterstützen, egal was passiert. In einigen Fällen kann auch das in den Arm nehmen einer Person viel bewirken, wenn nicht sogar mehr als Worte. - Suche professionelle Unterstützung:
Wenn du oder jemand, den du kennst, mit anhaltenden negativen Emotionen oder toxischer Positivität zu kämpfen hat, kann es hilfreich sein, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Emotionsfokussierte Therapie kann beispielsweise einen sicheren Raum bieten, um Emotionen auf gesunde Weise zu erkunden und zu verarbeiten. - Setze Grenzen bei sozialen Medien:
Achte darauf, welchen Einfluss soziale Medien auf deine psychische Gesundheit haben. Wenn du feststellst, dass der ständige Kontakt mit den idealisierten Darstellungen des Lebens anderer Menschen dich schlecht fühlen lässt, ziehe in Betracht, einen digitalen Detox einzulegen oder deinen Feed so zu gestalten, dass er realistischere und vielfältigere Darstellungen enthält.
Fazit
Toxische Positivität ist eine schleichende Kraft, die die psychische Gesundheit, das emotionale Wohlbefinden und authentische menschliche Verbindungen untergraben kann. Obwohl Positivität ihren Platz hat, sollte sie niemals auf Kosten der Anerkennung oder der Abwertung echter Emotionen gehen. Indem wir die Anzeichen von toxischer Positivität erkennen und einen ausgewogenen, empathischen Ansatz für unsere eigenen Emotionen und die Emotionen anderer wählen, können wir gesündere und unterstützende Umgebungen schaffen – sowohl in uns selbst als auch in unseren Gemeinschaften.
Denke daran, dass es in Ordnung ist, nicht immer in Ordnung zu sein. Wahre emotionale Stärke kommt nicht von ständiger Positivität, sondern von der Fähigkeit, die Höhen und Tiefen des Lebens mit Ehrlichkeit, Resilienz und Selbstmitgefühl zu meistern.
Dieser Artikel wurde verfasst von Isabella Landers
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